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Ohne Phosphor kann der Mensch nicht leben

(erstellt am: 27.11.2023)

Stadt Aschaffenburg/Berlin. Phosphor ist für den Menschen unentbehrlich, er ist wichtigster Grundstoff für Dünger, damit auch für die Lebensmittelproduktion.


Grundstoff: Deutschland ist von Importen abhängig – Notwendig für Dünger – Künftig sollen Toiletten den wertvollen Stoff liefern – Phosphorrückgewinnung als Thema


Nur: Deutschland ist bislang zu 100 Prozent von Importen abhängig, also von anderen Ländern. Dabei kann im Grunde jede und jeder helfen, eine Krise abzuwenden: Phosphor steckt in den menschlichen Ausscheidungen. Nun soll er zurückgewonnen werden, das Klärwerk zur Düngermine werden. Darum müssen die Betreiber der Kläranlagen in Deutschland bis Ende dieses Jahres bei den zuständigen Behörden ein Konzept vorlegen.

»Phosphorrückgewinnung ist vielfach noch in der Entwicklungsphase.«
Verband kommunaler Unternehmen (VKU)

Phosphor, chemisches Symbol: P, kann einerseits den Tod bringen, weil es in Brandbomben verwendet wird, es giert danach, sich mit Sauerstoff zu verbinden und ist darum leicht entzündlich. Ohne Phosphor gibt es andererseits kein Leben, keine Pflanze, kein Tier, kein Mensch kommt ohne aus. Nerven und Muskeln sind darauf angewiesen, er hält auch Erbgutmoleküle zusammen, steckt in jeder Zelle. Der menschliche Körper enthält im Schnitt 700 Gramm Phosphor, scheidet es aber ständig aus und muss es wieder mit der Nahrung aufnehmen.

Marokko und Westsahara
Für Phosphor gibt es anders als etwa für Erdöl keinen Ersatz. Es lässt sich auch nicht künstlich herstellen. Der Nachschub liegt in den Händen von nur wenigen Regierungen: Etwa 70 Prozent der weltweiten Reserven liegen allein in Gesteinsvorkommen in Marokko und der Westsahara, der Rest wird in China, Ägypten, Algerien, Südafrika gewonnen. Quellen wie die Guano-Inseln Nauro oder Banaba sind längst ausgebeutet.

Die EU listet Phosphor darum schon seit 2014 als kritischen Rohstoff, wirtschaftlich wichtig, aber mit hohem Versorgungsrisiko. Die Entdeckung eines großen Phosphatvorkommens vor kurzem in Norwegen ändert daran nichts, auch nichts an den steigenden Preisen. Kostete eine Tonne Phosphatgestein aus Marokko der Weltbank zufolge im Oktober 2020 im Schnitt noch 80 Dollar, waren es für die gleiche Qualität im Oktober 2023 bereits 347,50 Dollar.

Dabei fließt Phosphor auch in dreckiger Brühe durch das 600.000 Kilometer lange, unterirdische deutsche Netz von Abwasserrohren. Jeder geht am Tag etwa sechs Mal zur Toilette und spült dann die wertvolle Ressource mit Urin und Stuhl fort. Am Ende wird sie bisher zumeist mit dem Klärschlamm verbrannt, etwa in Kraft- oder Zementwerken. So soll es nicht weitergehen.

Nur: Den Klärschlamm wie bis in die 1970er Jahre hinein einfach auf die Felder kippen, geht nicht. Dabei war das ein perfekter Kreislauf: Klärschlamm, der neben Phosphor auch Stickstoff und andere Nährstoffe enthält, düngte die Äcker. Die Menschen verspeisten die Pflanzen, die dank des Düngers gediehen, verdauten diese. Der Rest rauschte durch die Toilette, wurde in der Kläranlage wieder zu Klärschlamm.

Doch obwohl Abwässer aufwendig gereinigt werden, ist der Klärschlamm am Ende nicht immer frei von bedenklichen Stoffen. Ihn im großen Stil auf den Feldern zu verteilen, ist deshalb heute nur mit qualitätszertifizierten Schlämmen erlaubt. In den Kläranlagen kommt ein Gemisch an, das es in sich hat: In den Ausscheidungen der Menschen stecken noch Reste von Medikamenten, in den Abwässern der Industrie Chemikalien, im Regen, der von den Straßen in die Gullys fließt, Abrieb von Reifen.

Für die Kläranlagen, für die Städte und Gemeinden, läuft nun die Zeit. Es reicht nicht nur, ein Konzept vorzulegen. Für jene mit 100.000 Einwohnern und mehr wird es ab 2029 Pflicht, Phosphat zurückzuholen, für kleinere ab 50.000 Einwohnern ab 2032. Das sei schon wegen Planungs-, Genehmigungs- und Bauzeiten »äußert ambitioniert«, erklärt ein Sprecher des Verbandes kommunaler Unternehmen, VKU.

Im Hamburger Klärwerk läuft die bundesweit erste großtechnische Anlage für Phosphorrecycling schon. Doch noch sucht die Branche nach den besten Wegen, erprobt und testet die Technik. Der VKU-Sprecher sagt es so: »Bei der Phosphorrückgewinnung befinden wir uns vielfach noch in der Entwicklungsphase.«

Skepsis in Aschaffenburg
Von den Problemen weiß man auch in Aschaffenburg. Aus den Stadtwerken heißt es dazu: »Bisher gibt es nur wenige Anlagen in Deutschland, in denen erste Versuche zur Gewinnung des Phosphors erfolgen. Unseres Wissens gestaltet sich das technisch als äußerst schwierig.« Man teilt die Bedenken des Verbandes kommunaler Unternehmen und nennt den vorgelegten Zeitplan ebenfalls »ambitioniert, wenn nicht gar unrealistisch.«

Der Klärschlamm aus Aschaffenburg wird derzeit in verschiedenen Verbrennungsanlagen mit- verbrannt. Ein großer Teil davon werde zunächst im Biomasseheizkraftwerk im Leiderer Hafen getrocknet. Danach werde er hauptsächlich in Kohlekraftwerken mitverbrannt, unter anderem im Kohleblock des Gemeinschaftskraftwerks in Schweinfurt, an dem die Stadtwerke Aschaffenburg beteiligt sind. Die gesetzlich vorgesehene Rückgewinnung von Phosphor, so die Stadtwerke, lasse sich nur über eine sogenannte Monoverbrennung des Klärschlamms realisieren. Der Phosphor soll dabei aus der Asche der Verbrennung gewonnen werden. In Schweinfurt laufen derzeit die Planungen zum Bau einer Monoklärschlammverbrennung.

Zurück auf die Bundesebene: Das Umweltbundesamt schätzt, dass mit der Rückgewinnung am Ende bis zu 40 Prozent des in Deutschland verkauften Mineraldüngers aus Klärschlamm kommen könnte. Vorteil: »Die meisten natürlichen Phosphorvorkommen sind mit Cadmium und Uran verunreinigt, das Recyclingphosphor nicht«, so Dirk Salomon. Er ist für die Verbrennung von Klärschlamm beim Wupperverband zuständig, einem der großen Wasserwirtschaftsverbände im Land.

Bleibt ein Problem: »Wir wissen nicht, ob wir das recycelte Phosphor auf dem Markt platzieren können«, sagt Martin Weyand, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft. Noch dürfe auch das recycelte Phosphor aufgrund des Düngemittelrechts nicht auf die Felder. Da müsse der Gesetzgeber jetzt ran, fordert Weyand. Und ob das Recyclingphosphor mit den wenn auch steigenden Preisen auf dem Weltmarkt mithalte, sei auch offen. Darum müsse dessen Einsatz in Düngern zumindest in Teilen vorgeschrieben werden. Weyand warnt: »Wenn die Klärwerke in das Recycling investieren, sie dann aber keine Erlöse daraus haben, wird die Abwasserreinigung teurer. Das ist eine sehr einfache Rechnung.«


Lesetipp: »Holy shit – Der Wert unserer Hinterlassenschaften« von Annette Jensen
Wie ist es dazu gekommen, dass die Menschen auf dem stillen Örtchen mit Trinkwasser wertvolle Stoffe einfach wegspülen, die dringend gebraucht werden? Der Frage geht die Autorin Annette Jensen in ihrem Buch »Holy shit – Der Wert unserer Hinterlassenschaften« (240 Seiten) nach.

Jensen beschreibt, wie sich die Toilette wieder zu einer großen Wertstoffsammelstelle machen lässt. Demnach ist es ähnlich wie beim Abfall: Urin und Fäkalien müssen am besten getrennt gesammelt werden. Für die Römer war der Toilettengang übrigens ein öffentliches gesellschaftliches Ereignis, in größeren Städten hatten sie Prachtlatrinen mit namentlich gekennzeichneten Sitzplätzen, wie Jensen schreibt. Sie zitiert zudem aus einem Liedtext von Wolfgang Amadeus Mozart: »Gute Nacht, gute Nacht, scheiß ins Bett, dass ́ kracht«. Still war das Örtchen also nicht immer.


Presseartikel des Main-Echo, Aschaffenburg, vom 24. November 2023, Autorin: Hanna Gersmann, Mitarbeit: bach

Wir bedanken uns ganz herzlich bei Hanna Gersmann und beim Main-Echo, Aschaffenburg, für die Erlaubnis zum Abdruck des Artikels auf unserer Homepage.


Bildunterschrift: In Klärwerken kommt auch Phosphor an, die Rückgewinnung ist aber schwierig: Blick auf die Kläranlage der Stadt Lohr (Symbolfoto: Johannes Ungemach).

In Klärwerken kommt auch Phosphor an, die Rückgewinnung ist aber schwierig: Blick auf die Kläranlage der Stadt Lohr (Symbolfoto: Johannes Ungemach).